Führungstrends kritisch betrachtet: Stärkenorientierte Führung
Teil 1
In unserer neuen Serie Führungstrends kritisch betrachtet nehmen wir aktuelle Führungstrends unter die Lupe. Ganz ohne sie zu zerreißen, zu entwerten, in den Himmel zu loben oder in Ehrfurcht zu erstarren. Wir sezieren sozusagen nüchtern mit einer feinen Prise Humor.
In der Stärke liegt die Kraft, sagt man.
Führung boomt. Genauer gesagt: die Ansichten erfolgreich zu führen ähneln in gewisser Weise dem Bereich von Mode, Architektur oder Ernährung und sind einer steten zeitlichen Umwälzung unterworfen. Ein Schlagwort löst das Nächste ab, der gestrige Hype gerät schnell wieder in Vergessenheit und der morgige ist noch nicht ganz in das kollektive Bewusstsein eingedrungen.
Ganz wichtig: der aktuelle Trend klingt attraktiv und man hat dazu selbstverständlich ein fundiertes Wissen, jahrelange Expertenerfahrung und eine entsprechende (richtige) Meinung.
Heute: Stärkenorientierte Führung.
Die Wurzeln des Trends
Stärkenorientierte Führung ist ein Führungsansatz, bei dem der Schwerpunkt darauf liegt, die individuellen Stärken und Potenziale von Mitarbeiter:innen zu erkennen, zu fördern und zu nutzen. Schwächen oder Defizite werden hierbei nicht beachtet.
Kurz gesagt bedeutet stärkenbasiertes Führen, den Blick auf das zu richten, was gut ist bzw. was jemand gut kann.
Spätestens seit der Erscheinung des Buches: „Flourish – Wie Menschen aufblühen: Die Positive Psychologie des gelingenden Lebens“ von Martin Seligmann gibt es den passenden Führungstrend dazu.
Seligmann (*1942) ist ein US-amerikanischer Psychologe und hat unumstrittene Verdienste rund um die Depressionsforschung geleistet, war jedoch selbst nie Führungskraft.
…und was daraus geworden ist
Das PERMA-Modell von Martin Seligman erklärt, welche fünf Bereiche in unserem Leben maßgeblich darüber entscheiden, ob wir glücklich und zufrieden sind. Der daraus abgeleitete Führungsansatz des „PERMA-Lead®“ steht für:
(P)ositive Emotions (positive Emotionen)
(E)ngagement (sich einbringen können)
(R)elationships (förderliche Beziehungen)
(M)eaning (Sinnhaftigkeit)
(A)ccomplishment (Zielerreichung)
und soll Führungskräften unter anderem zur erfolgreichen Führung verhelfen oder die Fluktuation niedrig halten. Anstatt überwiegend Schwächen der Mitarbeiter:innen in den Vordergrund zu stellen, konzentriert sich dieser Führungsstil auf persönliche Stärken und Teamstärken, um deren Potential zur Entfaltung (Flourishing) zu bringen.
Führungskräfte sollen daher:
– Mitarbeiter:innen öfter Feedback zu ihren Stärken geben.
– Den Mitarbeiter:innen durch kurze Gespräche oder eine persönliche schriftliche Notiz, was jemand gut umgesetzt hat, Wertschätzung zeigen
– Sicherstellen, dass die Teammitglieder untereinander Unterstützung geben und diese ebenso bekommen.
– Sich regelmäßig über außerordentliche Leistungen ihrer Mitarbeiter:innen informieren und sich bei ihnen bedanken.
– Den Zusammenhang zwischen den Arbeitsergebnissen der Mitarbeiter:innen und den übergeordneten Zielen hervorheben.
Unser Fazit
Grundsätzlich ist aus unserer Sicht alles zu unterstützen, das Engagement fördert und Mitarbeiter:innen sinnvoll an ein Unternehmen bindet – doch was bitte ist daran neu?
Führung ohne Feedback geht nicht. Zusammenarbeit ohne gegenseitige Unterstützung ist unmöglich. Zusammenhänge nicht aufzuzeigen ist schlichtweg dumm. Sich für Leistungen zu bedanken ist ein natürlicher und menschlich-kompetenter Akt der Höflichkeit bzw. Wertschätzung. Wenn man Führung also halbwegs ernst nimmt, fällt das eben Aufgezählte ausnahmslos unter notwendige Selbstverständlichkeiten.
In mancher Literatur findet man das plakative Beispiel einer Fußballmannschaft in der sich ein begnadeter Freistoßschütze und ein exzellenter Elfmeterschütze befinden und die Frage gestellt wird: Üben Sie mit dem Freistoßschützen Elfmeter und mit dem Elfmeterschützen Freistöße? Die Antwort ist selbst für nichtfußballbegeisterte Menschen mehr als nur naheliegend: Nein, denn man sollte die Stärken des Elfmeterschützen weiter ausbauen und die des Freistoßschützen ebenso.
Doch der Vergleich hinkt enorm. Freistöße und Elfmeter sind Standard- und mitunter Ausnahmesituationen in einem Fußballspiel. Grob geschätzt passiert in 99% der Spielzeit kein Freistoß oder Elfmeter.
Sinnvoller wäre es, die Spieler für die „restlichen“ 99% des Spiels fit zu machen. Lernfelder und Verbesserungen sichtbar und begreifbar zu machen und einen gemeinsamen Weg zur Entwicklung aufzuzeigen und nachzuverfolgen.
Die stärkenorientierte Führung hat aus unserer Sicht noch einen weiteren bedeutsamen Nachteil: Kritische oder unangenehme Dinge werden unter dem Deckmantel der Stärken nicht angesprochen. Stellen Sie sich vor, Sie haben einen exzellenten Mitarbeiter in Ihren Team. Die Leistungsperformance ist 1A, aber sozial ist er ein völliger Blindfisch . Würden Sie jetzt seine Stärken – die zweifellos vorhanden sind – stärken oder eher das nicht passende soziale Verhalten ansprechen und weiterführend korrigieren..?
Und so kann man es auch sehen
Stärkenorientierte Führung ist wie die Butter auf dem Brot. Es schmeckt besser mit als ohne, sie ist ein natürliches Produkt, in Maßen konsumiert gesund – und kommt im Fall des Falles (sic) garantiert als Erstes am harten Boden der Realität auf.
Bauen Sie als Führungskraft also gerne und mit gutem Gewissen Elemente dieses Führungstrends in Ihre Art zu Führen ein, doch bauen Sie nicht ausschließlich darauf auf.
Und zu guter Letzt: Bleiben Sie sich selbst treu.